Qualität in der Markt- und Sozialforschung

#10 |Thesen zur Qualitätsthematik

Wie geht es mit der Markt- und Sozialforschung allgemein und mit dem Qualitätsthema im speziellen weiter? Jede Beschäftigung mit der Qualität in der Markt- und Sozialforschung muss sich auch mit mittel- und langfristig denkbaren Entwicklungen in der Branche und deren Auswirkungen auf das Qualitätsthema beschäftigen. Hierzu sind Thesen zu qualitätsrelevanten Entwicklungen hilfreich.

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Klassische Primärforschung und die damit verbundenen Qualitätsanforderungen und Qualitätskriterien bleiben wesentlicher Bestandteil der Markt- und Sozialforschung. 

Marktforschung wird technischer: standardisierter, automatisierter, schneller. Algorithmen und Verfahren der künstlichen Intelligenz nehmen an Bedeutung zu, ebenso DIY-Angebote. Dadurch werden Anwendungen ohne ausreichende Kenntnisse erleichtert – teilweise euphemistisch als Demokratisierung der Marktforschung gefeiert. Dies birgt zunehmende Gefahren und die Notwendigkeit weiterer Aktivitäten in Richtung Ausbildung und Datenkompetenz.

Immer mehr Markt- und Sozialforschungsleitungen werden auf Auftraggeberseite selbst über DIY- Ansätze oder über Data Analytics eigener Daten durchgeführt. Die Schulungsnotwendigkeit, die Qualitätsrelevanz ist evident.

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Datenschutz bleibt steuerndes aber nicht blockierendes Thema – erst recht nicht in Richtung der Qualitätsthematik.

Schlechte Qualität will niemand, aber immer weniger wird ausdrücklich auf gute Qualität geachtet und die Notwendigkeit guter Qualität thematisiert.

KI-basierte Lösungen werden jede Vorstellungskraft sprengen. Auswirkungen von ChatGPT, Google LaMDA und Weiterentwicklungen auch auf die Marktforschung sind nur schwer konkret fassbar – Analyse, Bewertung der Entwicklungen allgemein und für Marktforschung und (Daten-)Qualität werden dauernde Herausforderung sein.

Durch die Transformation der Marktforschungsbranche, durch vielfältige neue Entwicklungen und neue Anbieter entstehen sowohl neue Qualitätsherausforderungen und neue Qualitätskriterien als auch die Gefahr eines sinkenden Qualitätsbewusstseins durch immer mehr branchenfremde Anbieter und Nutzender.

Das Qualitätsbewusstsein sinkt in gefährlich im Ausmaß, wenn Qualitätsthemen immer geringerer Teil der Ausbildung sind, wenn Qualität nicht umfassend verstanden, gelehrt und gelebt wird, über Qualität zu wenig kommuniziert wird, wenn Qualität nicht immer honoriert und bezahlt wird und die Qualitätsdiskussion immer häufiger als gestrig abgetan wird.

Der Impact datenbasierter Dienstleistungen definiert sich weiterhin und verstärkt über die Qualität:  Mit Qualitätsmängeln sind datenbasierte Dienstleistungen wertlos, sogar gefährlich.

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Es bedarf ständig und überall überarbeiteter und neuer Qualitätskriterien: Kriterien für ganz neue Methoden und Ansätze, Kriterien zur Beurteilung des Wertes existierender Daten, Kriterien zur Auswahl richtiger (valider) und relevanter Daten für die jeweiligen Problemlösungen.

Es bedarf eines neuen, ganzheitlichen Qualitätsbegriffs vom Problemverständnis über Methoden- und Datenqualität, Prozessqualität bis hin zur Ergebnis- und Beratungsqualität.

Nur allgemein verbindliche, anerkannte, eingeforderte Qualitätsstandards sichern wirklich Qualität – nicht die inflationären Zusagen und „Garantien“ einzelner Anbieter.

Das Qualitätsthema ist komplex: Gerade deshalb bedarf es immer mehr niederschwelliger Informationen für Unerfahrene, aber auch für Profis und Semiprofis.

Wenn Markt- und Sozialforschung mit Recht den Anspruch erhebt, wichtigen Input bis hin zu Entscheidungshilfen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu liefern, dann ist die Qualitätsforderung auch systemrelevant für Demokratie, offene Informationsgesellschaft, Pluralität.

Zum Abschluss allen ans Herz gelegt und in Erinnerung an Erich Wiegand (langjähriger Geschäftsführer des ADM und unerbittlicher Kämpfer für Selbstregulierung und Qualitätsbewusstsein, verstorben 2022):

„Daraus ergibt sich die gemeinsame Verantwortung von Forschungsdienstleister und Auftraggeber für die Qualität der empirischen Markt-, Meinungs- und Sozialforschung. Der Auftraggeber muss dem Forschungsdienstleister die zur „guten Forschungspraxis“ notwendigen finanziellen und zeitlichen Ressourcen zur Verfügung stellen. Der Forschungsdienstleister muss die „gute Forschungspraxis“ zu seiner unabdingbaren Berufsphilosophie machen und – falls notwendig – den Auftraggeber von der Notwendigkeit überzeugen.“

(Erich Wiegand in: Faulbaum und andere, Qualitätssicherung in der Umfrageforschung, 2012, Seite 170)