Die Markt- und Sozialforschung hat sich immer in einem Prozess von Veränderung und Wandel befunden. Das Veränderungstempo durch neue Herausforderungen, vor allem aber neue Möglichkeiten in Folge der Digitalisierung sowie durch neue Methoden und Datenquellen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Notwendigkeit, das Qualitätsverständnis und die Qualitätskriterien anzupassen, ist offensichtlich.
Qualität in der Markt- und Sozialforschung
#5 | Neue Herausforderungen – Markt- und Sozialforschung im Wandel
Die Herausforderungen und Aufgaben an Markt und Sozialforschung haben ebenso wie die Lösungsmöglichkeiten durch neue Methoden und Verfahren ständig zugenommen. So sind zum Beispiel über Jahrzehnte die Anforderungen an Medien- und Werbeforschung, an Werbeträger- und Werbemittelforschung nicht zuletzt durch die Zunahme neuer und weiter ausdifferenzierter Medien gewachsen. Vergleichbare Beispiele gibt es im Bereich der Markenführung, der Forschung zu Kundenzufriedenheit und CX, der immer anspruchsvoller gewordenen Sozialforschung (dort z. B. Einsatz biometrischer Verfahren) etc.
Zunächst parallel dazu und gar nicht immer im direkten Zusammenhang gab und gibt es kontinuierliche Weiter- und Neuentwicklungen im methodischen Bereich. Zwei häufig im Hinblick auf das Qualitätsthema heute schon vergessene oder als selbstverständlich erachtete Themen der letzten Jahre und Jahrzehnte sind:
- Telefonische Umfragen, später computergestützte CATI-Umfragen erst in Ergänzung, dann häufig als Ersatz für persönliche Befragungen, die später auch computergestützt als CAPI-Befragungen durchgeführt würden.
- Vergleichbar im Hinblick auf Qualitätsdiskussionen, Qualitätsanforderungen und Kriterien vollzog sich dann die Diskussion rund um die Onlineforschung, vor allem unter dem Aspekt der Repräsentativität und bezogen auf die Online-Access-Panels. Oft diskutiert und noch immer ein strittiges Thema sind hier die Qualitätsanforderungen an Stichprobenziehung (z. B. Probability-Sampling vs. River-Sampling).
Nun beschleunigen sich diese Entwicklungen. In Unternehmen entstehen nicht zuletzt durch Krisen und neue Lebensmodelle in der Bevölkerung immer neue Herausforderungen an Markenführung, an Kommunikation und Touchpoint-Management, an Customer-Centricity, UX & CX, an Innovationen. Es entstehen immer neue Herausforderungen in Richtung schneller, Realtime- oder Neartime-Forschung. Auch im Bereich der Politikforschung und Sozialforschung sind vergleichbare Entwicklungen festzustellen.
Unsicherheiten und Forschungsbedarf auf Auftraggeberseite treiben seit Jahren die Markt- und Sozialforschung auch bei der Entwicklung neuer Lösungsansätze und neuer Methoden. Eine Transformation – der Begriff der Disruption wird bewusst nicht gewählt – getrieben durch Digitalisierung ist in vollem Gange.
- Immer neue Methoden qualitativ wie quantitativ, oft technikgetrieben
- Immer mehr Daten, die automatisch anfallen (Smartphone, Kaufbons, Geodaten) und z. T. schon Primärforschung ersetzen, zumindest aber ergänzen
- Immer mehr Analysemöglichkeiten durch anspruchsvolle Statistik bis hin zu Machine-Learning und künstlicher Intelligenz (KI)
- Eine Hard- und Software, die im Hinblick auf Datenmenge und Schnelligkeit der Bearbeitung – so meinen viele – praktisch keine Grenzen mehr kennt
- Ganz neue technische Verfahren – z. B. das Eyetracking, in seiner technischen und methodischen Weiterentwicklung bis hin zur Verfügbarkeit über Smartphones
Oftmals werden Entwicklungen sehr lange gar nicht im Zusammenhang mit Qualitätsrisiken oder im Zusammenhang mit dem Qualitätsthema gesehen. Es wird als positiv erachtet, wie viele DIY-Lösungen (sei es über Forschungsplattformen und Panels für eigene Formulierung von Fragen, sei es über das Buchen fertiger DIY-Tools z. B. für Pretests, Segmentierungen) entwickelt und angeboten werden. Es wird als positiv erachtet, wie viele Start-ups mit SaaS-Lösungen („Software as a Service“) für verschiedenste Fragestellungen in den Markt drängen. Und natürlich erweitern all diese Verfahren die Lösungsmöglichkeiten für die täglich zunehmenden und differenzierteren Fragestellungen an die Markt- und Sozialforschung. Das Qualitätsthema bleibt aber weiterhin relevant und zwar unter folgenden Aspekten:
- Das generelle Wissen aller Anwendenden um die Kriterien qualitativ guter Forschung – von der Problemanamnese über die Operationalisierung, Festlegung von Grundgesamtheit und Stichprobe, Bewertung der Stichprobenqualität, Fragenformulierung bis zu Auswertung und Interpretation
- Bewertung der Verfahrensqualität des DIY- oder SaaS-Angebotes selbst
- Die notwendigen operativen und technischen Kenntnisse und Erfahrungen für eine DIY-Anwendung oder eine SaaS-Anwendung
Die neuen Möglichkeiten und Herausforderungen im Überblick:
- wachsende Herausforderungen in Richtung Markenführung, Touchpoint-Management, CX, Sozialforschung
- wachsende und heterogene Erwartungen auf Auftraggeberseite
- wachsende Erwartungen an Realtime- oder Neartime-Ergebnisse: Schnelligkeit!
- neue Geschäftsmodelle wie DIY und SaaS
- neue Möglichkeiten durch die Digitalisierung: viele neue Daten, neue Methoden
- neue qualitative und quantitative Methoden sowie im Bereich der technischen Messungen wie Eyetracking, Gesichtserkennung etc. / neue Methoden zur Social-Media-Analyse (Smartphone-basiert für Text, Sprache, Bild, Video) / Renaissance der Beobachtung (Ethnographie online), erweiterte Methoden der Datenanalyse (Datenanreicherung, Datensynthese, Algorithmen, künstliche Intelligenz)
- neue Möglichkeiten der Datenanalyse (Datenanreicherung, Datensynthese, Algorithmen) und Data Science (Machine-Learning/KI)
- kurz: Markt und Sozialforschung wird technischer, standardisierter, automatischer, schneller. Algorithmen und KI nehmen an Bedeutung zu, ebenso DIY und SaaS.